Wahlen 2019: Ein Rückblick aus Sicht der JungwählerInnen

 

Jung und politisch? Spätestens seit der Klimastreik-Bewegung schliessen sich diese Begriffe nicht mehr gegenseitig aus. Lange Zeit stand die junge Generation im Ruf, unpolitisch zu sein. Mit den Fridays for Future haben zumindest manche Junge lautstark gezeigt, dass sie sich durchaus für politische Themen interessieren. Entsprechend spannend war zu sehen, welche Auswirkungen dieses neue Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf die Wahlen 2019 haben würde. Die Nachwahlbefragung Selects zeigt, dass sich 2019, ähnlich wie in den Vorjahren, ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen an den Wahlen beteiligte. Zum Vergleich: Bei den 65- bis 74-Jährigen betrug die Wahlbeteiligung 67 % (Tresch, Lauener, Bernhard, Lutz und Scaperrotta 2020: 5). Doch woran liegt dieser Generationenunterschied? Mögliche Antworten auf diese Fragen liefert der vor kurzem veröffentlichte easyvote-Politikmonitor 2019.

 

Nora Räss, September 2020

Die Wahlen 2019 gingen als Frauen- und Klimawahl in die Geschichte ein. Für letzteres ist die junge WählerInnenschaft zwar mitverantwortlich, da die ökologischen Parteien insbesondere bei den Jungen deutlich zulegten (Tresch 2020: i). Zudem stieg die Wahlbeteiligung der 18- bis 24-Jährigen immerhin um drei Prozent an, was ebenfalls auf eine erhöhte Mobilisierung durch die Klimastreiks hindeuten könnte. Trotzdem war die Wahlbeteiligung bei den meisten älteren Altersgruppen nach wie vor deutlich höher und betrug bei den 65- bis 74-Jährigen, die die höchste Wahlbeteiligung erreichten, nahezu doppelt so viel wie bei den 18- bis 24-Jährigen (Tresch et al. 2020: 5-6).

Der easyvote-Politikmonitor befragt 15- bis 25-Jährige jedes Jahr seit 2014 zu ihren Präferenzen, Partizipationsformen und Haltungen im Zusammenhang mit Politik. Durch den Vergleich des Politikmonitors mit der Nachwahlbefragung Selects, welche seit 1995 das Wahlverhalten von Schweizer BürgerInnen untersucht, lassen sich Erkenntnisse über Eigenheiten des Wahlverhaltens der jungen Generation im Vergleich zur Gesamtbevölkerung gewinnen. Zwei Ergebnisse fallen dabei besonders auf.

 

Flyern Sie noch oder posten Sie schon?

Gemäss Selects waren sich die Kandidierenden der Wahlen 2019 einig: Wenn überhaupt internetbasierter Wahlkampf, dann über Facebook. Andere Plattformen wie Twitter, Instagram oder Youtube oder auch persönliche Websites oder Blogs wurden nur von einer Minderheit als wichtig eingeschätzt und entsprechend genutzt. Klar favorisiert waren nach wie vor traditionelle Instrumente wie das Verteilen von Kampagnenmaterial, persönliche Flugblätter, Plakate oder Give-Aways, sowie persönliche Kontakte durch Hausbesuche oder den Strassenwahlkampf (Tresch et al. 2020: 55).

Wie informieren sich aber junge Menschen über Wahlen? In Bezug auf Online-Kanäle zeigt der Politikmonitor: Gerade für die bis 25-Jährigen spielt Facebook kaum mehr eine Rolle. Informierten sich 2016 immerhin noch 13 % über Facebook über die Abstimmung, welche kurz vor der Erhebung des Politikmonitors stattfand, so waren es 2019 nur noch 4 %, die auf Facebook nach Informationen zu den Wahlen suchten. Abgelöst wurde Facebook von Instagram. Immerhin 15 % der Jungwählenden beziehen Informationen über die Wahlen über die Foto- und Videoplattform (gfs.bern 2020: 12). Dem gegenüber stehen 5 % der Kandidierenden, die Instagram für ihren Wahlkampf genutzt und als wichtig empfunden haben (Tresch et al. 2020: 55). Betrachtet man also rein den internetbasierten Wahlkampf, schienen Jungwählende und Kandidierende nicht ganz dieselbe Sprache zu sprechen. Klar ist aber: Für junge Menschen zählten auch 2019 nach wie vor die Eltern und die Schule zu den wichtigsten Quellen für die Informationsbeschaffung.

 

Überforderung als konstantes Wahlhindernis

Egal jedoch, wie sie sich informieren, ein Grund, weshalb junge Menschen der Urne fernbleiben, vermag kein Informationskanal aus der Welt zu schaffen, nämlich die Auffassung, dass das Wählen zu kompliziert sei. Sowohl 2014, im Hinblick auf die Wahlen 2015, als auch 2019 gab rund ein Viertel der befragten 15- bis 25-Jährigen im easyvote-Politikmonitor an, dass die Komplexität der Wahlen für sie gegen eine Wahlteilnahme spreche (gfs.bern 2020: 25). Besondere Schwierigkeiten bereiteten die Entscheidung für Kandidierende und die Informationsbeschaffung über Parteien und Kandidierende (gfs.bern 2020: 23). Auch in der Gesamtbevölkerung, abgebildet durch die Nachwahlbefragung Selects, zeichnet sich ein ähnliches Bild. Hier hinderte die Komplexität der Wahlen einen Fünftel der Befragten an der Wahlteilnahme. Zudem zeigt sich, dass bei allen drei vergangenen nationalen Wahlen der Grund, dass man die Kandidierenden zu wenig kenne, am meisten Zustimmung unter den WahlabstinenzlerInnen erfuhr (Tresch et al. 2020: 10).

Fehlendes Wissen in irgendeiner Form als Hinderungsgrund für die Wahlteilnahme ist also eine Konstante, die sich durch die vergangenen Wahlen zieht. Spannend bei den Jungen ist, wie sie damit umgehen. Der Politikmonitor zeigt, dass sich die Zustimmung zum Argument, die Wahlen seien zu kompliziert, trotz dieses relativ hohen Wertes nicht signifikant negativ auf die Teilnahme an den Wahlen auswirkt (gfs.bern 2020: 26). Die Jungen gehen proaktiv vor: Je rund ein Drittel antworten auf die Frage, wie schwierig sie das Wählen fanden, dass sie sich zuerst informieren mussten, wie Wählen funktioniert oder dass jemand ihnen geholfen habe und gezeigt habe, wie Wählen geht (gfs.bern 2020: 22). Was die 18- bis 25-Jährigen jedoch von einer Wahlteilnahme abhält, ist die Ansicht, dass es schwierig ist, eine Partei zu finden, die die eigenen Interessen vertritt (gfs.bern 2020: 26). Wobei bei dieser Aussage nicht klar ist, ob die Schwierigkeit darin besteht, genügend Informationen über die Parteien zu finden oder darin, dass es keine Partei gibt, die den eigenen Interessen entspricht. Dass 33 % der jungen Erwachsenen es eher oder sehr schwer fanden, sich über Parteien und Kandidierende zu informieren, könnte für die erste Erklärungsmöglichkeit sprechen.

 

Rolle der politischen Bildung

Wir nehmen also mit: Fehlendes Wissen über Kandidierende, Parteien oder den Wahlvorgang ist ein wichtiger Grund, der gegen eine Wahlteilnahme spricht, sei dies bei den Jungwählenden oder der GesamtwählerInnenschaft. Bei der jungen Generation spielen die Eltern und die Schule nach wie vor eine wichtige Rolle, um diese Wissenslücke zu füllen. Gerade bei Jugendlichen, die aus irgendeinem Grund nicht auf die Eltern zugehen können, um politische Informationen zu erhalten, ist die schulische politische Bildung umso wichtiger. So liefert die Dissertation von Koller Hinweise darauf, dass sich „die Vermittlung politischer Inhalte gemäss den Lehrplänen auf ,benachteiligte‘ Jugendliche positiv auswirken kann“ (Koller 2017: 293). Die jungen Erwachsenen beziehen ihre Informationen zwar auch selbständig über klassische Medien, Suchmaschinen oder eben Instagram (gfs.bern 2020: 12), doch nur die Schule bietet eine flächendeckende Informationsquelle für sämtliche jungen Erwachsenen in der Schweiz. Bei der schulischen politischen Bildung ist jedoch zu beachten, dass diese nicht in jedem Fall einen signifikant positiven Einfluss auf die Partizipation junger Menschen hat. Die Art und Weise, wie bzw. welche politischen Inhalte vermittelt werden, spielt eine wichtige Rolle und bietet Raum für weitere Untersuchungen für ein vertieftes Verständnis der Wirkungskraft politischer Bildung (Quintelier 2010: 149, Koller 2017: 255).

Abschliessend bleibt festzuhalten, dass in der Schweiz als Ergänzung zur schulischen politischen Bildung eine breite Palette an ausserschulischen Bildungsangeboten existiert. In diesem Bereich ist auch der DSJ mit seinen Angeboten aktiv. Nun gilt es nur noch, die richtige Mischung und Art der schulischen und ausserschulischen Angebote zur Förderung der politischen Partizipation und Bildung junger Menschen zu finden, so dass sich die Wahlbeteiligung der JungwählerInnen langsam aber stetig dem Wert der Pensionärinnen und Pensionäre annähert.


 

Quellen

gfs.bern. 2020. Klimajugend vs. Sofajugend. Jugendliche finden Relevanz und Identifikationsanker in Klimafrage – Auswirkung auf politisches Engagement teilweise sichtbar. easyvote-Politikmonitor 2019. Bern: gfs.bern.

Koller, Daniela. 2017. Politische Partizipation und politische Bildung in der Schweiz. Eine empirische Untersuchung des Partizipationsverhaltens junger Erwachsener in der Schweiz. Dissertation. Institut für Politikwissenschaft, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Bern, Bern.

Tresch, Anke, Lauener, Lukas, Bernhard, Laurent, Lutz, Georg und Laura Scaperrotta (2020). Eidgenössische Wahlen 2019. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. FORS-Lausanne. DOI: 10.24447/SLC-2020-00001.

Quintelier, Ellen. 2010. The effect of schools on political participation: a multilevel logistic analysis. Research Papers in Education 25(2), 137-154.