Politische Mobilisierung durch InfluencerInnen – Like or Dislike?

 

InfluencerInnen können mit einem Post zehn- oder gar hunderttausende Menschen erreichen. Meist sind diese Beiträge den Themen Mode, Lifestyle oder Reisen gewidmet. Vereinzelt äussern sich InfluencerInnen jedoch auch zu politischen Inhalten. Besonders junge Menschen können solche Posts motivieren, politisch aktiv zu werden. So sagen 18 % der befragten SchülerInnen des easyvote-Politikmonitors 2018, dass InfluencerInnen sie für ihre letzte politische Aktivität motiviert haben oder sie für eine künftige politische Aktivität motivieren könnten. InfluencerInnen sind somit wichtigere Motivatorinnen und Motivatoren als Geschwister, PolitikerInnen oder ArbeitgeberInnen und Mitarbeitende (gfs.bern 2019: 15). Wie ist jedoch die politische Mobilisierung junger Menschen durch InfluencerInnen zu bewerten? Diese Frage soll im vorliegenden Beitrag mit Blick auf junge Schweizer InfluencerInnen auf Instagram diskutiert werden, dem beliebtesten sozialen Netzwerk der Schweizer Jugendlichen (Suter et al. 2018: 44).

 

Nora Räss, Oktober 2019

Instagram-Profile haben meist eine klare thematische Ausrichtung. Als NutzerIn der Plattform wählt man in der Regel aus einem breiten Angebot die Profile aus, welche den persönlichen Interessen entsprechen. So stellen sich die NutzerInnen einen Feed zusammen, der ihr eigenes Denken wiederspiegelt und der sie kaum dazu anregt, ihre mentale Komfortzone zu verlassen. Auf diese Weise schaffen sie sich selbst eine Filterblase, in der sie in ihren eigenen Ansichten bestärkt werden. Werden politische Posts gemacht, fügen sich diese meist gut in den Grundtenor der Profile ein.

Instagram, 23. August 2019: anjazeidler (302'000 FollowerInnen) wirbt gegen das Freihandelsabkommen mit Brasilien und für den Veganismus.

Anja Zeidler, ehemaliges Fitnessmodel und Veganerin, mobilisiert beispielsweise gegen das Freihandelsabkommen mit Brasilien, indem sie auf die Brände im Amazonas aufmerksam macht. Sie weist darauf hin, dass der Grund für die Brände in der illegalen Abholzung und Brandrodung zum Anbau von Soja für die Massentierhaltung liege. Die Schweiz solle daher kein Freihandelsabkommen unterzeichnen, das mehr brasilianische Fleisch- und Sojatransporte in die Schweiz ermöglichen würde. Da der Veganismus auch sonst regelmässig Thema ihrer Posts ist, fällt dieser Beitrag kaum aus der Reihe.

 

Thinking outside the box?

Anja Zeidler ist kein Einzelfall. Betrachtet man die Profile anderer junger Schweizer InfluencerInnen, die sich zu politischen Themen äussern, finden sich auch dort meist nur politische Posts, die zur allgemeinen Thematik des Profils passen. So macht Fabio Zingg (_fabiozingg, 274'000 FollowerInnen), dessen Profil der Landschaftsfotografie gewidmet ist und somit einen starken Bezug zur Natur aufweist, am 1. Juli 2019 auf den Klimawandel aufmerksam. Brian Havarie (briann, 162'000 FollowerInnen), dessen Profil von extravaganten Make-up-Bildern dominiert wird und der regelmässig Bilder mit seinem Partner hochlädt, wünscht am 15. Juni 2019 einen Happy Pride Month. Auch hier überrascht die Themenwahl der Beiträge nicht.

Es gibt jedoch Ausnahmen, beispielsweise das Musikerduo Lo & Leduc (loundleduc, 45'000 FollowerInnen). Die beiden posten grösstenteils Beiträge zu ihrer Musik. Ab und zu findet sich in ihrem Profil jedoch ein Post zu aktuellen Abstimmungen in der Schweiz, so beispielsweise am 13. Mai 2019 zur kantonalen Abstimmung über das revidierte Sozialhilfegesetz in Bern. Hinzu kommt, dass sie in diesem Fall zu einer konkreten politischen Aktion aufrufen, nämlich dem Wählen oder Abstimmen. Lo & Leduc bilden mit diesen Posts aber eine klare Minderheit. Doch ist es überhaupt ein Problem, wenn man von seinem Insta-Feed nicht dazu angeregt wird, die eigenen Positionen zu hinterfragen?

 

Offline Filterblasen

Für das Funktionieren einer Demokratie ist es wichtig, dass man sich auch mit den Meinungen und Ansichten andersdenkender Personen auseinandersetzt. Die monothematischen Inhalte der Instagram-Profile fördern diese Kompetenz kaum. Aber nicht nur auf Instagram umgeben wir uns mit Inhalten, die unseren Ansichten und Interessen entsprechen. Auch offline bewegen wir uns oft in Blasen. Wir umgeben uns mit Menschen, die dieselbe Ausbildung genossen haben wie wir, die am selben Ort aufgewachsen sind und die ähnliche Interessen haben. Wenn wir zudem politisch einschlägige Medien konsumieren, wählen wir in der Regel jene, die unserer Gesinnung am ehesten entsprechen. Natürlich leben wir nicht völlig isoliert, denn wir können unsere Umwelt nicht im gleichen Masse kontrollieren wie unseren Instagram-Feed. Trotzdem dominiert im Alltag normalerweise der Umgang mit Gleichgesinnten. Insofern unterscheidet sich die Filterblase auf Instagram nur bedingt vom realen Leben.

Instagram weist jedoch ein wichtiges Merkmal auf: Die Plattform spricht spezifisch junge Menschen an, also jene, die sich mitten im Prozess der politischen Sozialisation befinden. In dieser Phase werden politisch bedeutsame Wertvorstellungen vermittelt und Einstellungen zum politischen System geformt (Kevenhörster 2008: 61). Indem junge Menschen auf Instagram mit politischen Inhalten konfrontiert und so politisch mobilisiert werden, kann zwar der Grundstein für den Aufbau politischer Einstellungen und Kompetenzen gelegt werden. Doch in dem Haus, das auf diesem Grundstein gebaut wird, fehlt ein wichtiges Zimmer: die demokratische Diskussionskultur. Zur politischen Sozialisation gehört auch, dass man sich abweichende Meinungen anhört, sich auf Konflikte einlässt und diese ausdiskutiert. Kurz: Dass eine demokratische Diskussionskultur erlernt wird.

Wichtig ist daher erstens, dass die politische Sozialisation nicht ausschliesslich auf Social Media stattfindet, wo wir uns in einer praktisch perfekten Filterblase bewegen. Zweitens sollten Jugendliche die Störung ihrer Offline-Blase nicht dem Zufall überlassen und sich bewusst mit politischen Themen und Meinungen des ganzen Spektrums auseinandersetzen. Wenn InfluencerInnen dann eine ergänzende Rolle bei der politischen Sozialisation der jungen Menschen einnehmen, ist das nicht weiter problematisch. Oder doch?

 

InfluencerInnen und das Geld

Instagram, 28.06.2019: zoepastelle (205'000 FollowerInnen) erinnert ihre Community daran, viel Wasser während den heissen Tagen zu trinken und dabei kein Plastik zu verschwenden. Sie empfiehlt dafür SodaStream.

Unternehmen haben das Potenzial von Influencerinnen und Influencern schon vor langer Zeit erkannt. Beim sogenannten Influencer Marketing werden die (angehenden) Social Media-Stars als WerbeträgerInnen für gewisse Produkte eingesetzt. Was in der Wirtschaft schon lange Standard ist, versucht nun auch die Politik. So setzte die CVP im Wahlkampf 2019 auf 320 BotschafterInnen im Internet, wie die Tagesschau im Juni berichtete. Und auch das EU-Parlament holte für die Europawahl 2019 InfluencerInnen ins Boot. Deren Engagement für die Europawahl erfolgte teilweise auf ehrenamtlicher Basis, teilweise gegen eine finanzielle Entschädigung durch das Verbindungsbüro des Europäischen Parlaments in Deutschland, so der Berliner Tagesspiegel im Mai 2019.

Influencer Marketing bietet Unternehmen und politischen Akteurinnen und Akteuren im Vergleich zu klassischen Werbemitteln verschiedene Vorteile: Es ermöglicht nicht nur eine zielgruppenspezifische Werbung, sondern die Werbetreibenden können zudem vom Vertrauen, das die Community den Influencerinnen und Influencern entgegenbringt, profitieren (Nirschl und Steinberg 2018: 38). Auch online gilt, dass wohlhabendere Player mehr finanzielle Ressourcen für Werbung aufbringen können. Im Unterschied zu Plakat-, Fernseh- oder Zeitungswerbung kann über InfluencerInnen jedoch gezielt ein junges Publikum angesprochen werden, das in seinen politischen Wertehaltungen und Überzeugungen noch nicht gefestigt ist. Influencer-Marketing ist somit viel effizienter und damit attraktiver für die Werbetreibenden. Natürlich haben die InfluencerInnen immer noch ein Wörtchen mitzureden, was den Content, den sie produzieren, angeht. Für sie ist es wichtig, dass sie ihren Followerinnen und Followern attraktive Inhalte präsentieren und ihre Glaubwürdigkeit bewahren können. Wenn InfluencerInnen auf Instagram Werbung machen, müssen sie daher ständig ihre finanziellen Interessen auf der einen Seite und die Glaubwürdigkeit und Attraktivität ihres Profils auf der anderen Seite gegeneinander abwägen. Dabei besteht die Gefahr, dass sie ihre finanziellen Interessen über die Verantwortung, die sie gegenüber ihrer Community wahrnehmen, stellen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Instagram die Haupteinnahmequelle der InfluencerInnen ist.

 

Online wie offline – kritisch hinterfragen

Wie sich das politische Influencer-Marketing weiterentwickelt, ist noch unklar. Betrachtet man die Profile der jüngsten Schweizer InfluencerInnen, fällt aber auf, dass zurzeit die politischen Posts an sich recht selten und wenn vorhanden, dann relativ unverfänglich sind. Dies zeigen auch die bereits zitierten Posts von Fabio Zingg und Brian Havarie. Nur selten geht es um konkrete politische Fragen wie bei den Musikern Lo & Leduc. Der Grund dafür liegt im Konfliktpotenzial politischer Statements; oder wie es die Republik am 11. Oktober 2019 schrieb: „Mit jedem politischen Post im Netz droht die Gefahr von digitalen Hassergüssen, Stichwort: Shitstorm.“

Es werden aber doch ab und zu politische Posts erstellt und das Influencer-Marketing birgt für die Politik noch viel Potenzial. Deshalb ist es wichtig, dass junge Menschen schon früh lernen, kritisch zu denken und Äusserungen anderer, in diesem Fall von Influencerinnen und Influencern, zu hinterfragen. Damit einher geht auch die Erkennung von Werbung, die sich beispielsweise hinter der Aufforderung, Plastik zu vermeiden, verstecken könnte. Dies sind jedoch alles Kompetenzen, die nicht nur online, sondern auch offline von grosser Wichtigkeit sind – genauso wie wir uns bewusst sein sollten, dass wir uns nicht nur digital, sondern auch analog in Blasen bewegen. In beiden Fällen sollten wir auch einmal einen Blick über den Tellerrand wagen, uns mit anderen Positionen auseinandersetzen und die eigene Meinung kritisch hinterfragen. Nur so stellen wir sicher, dass im Haus unserer eigenen politischen Kompetenzen kein Zimmer fehlt.

 


Der Text stellt keine wissenschaftliche Abhandlung der Thematik dar, sondern es fliessen auch die persönlichen Erfahrungen der Autorin mit ein. Sind keine Quellen angegeben, handelt es sich um die Meinung der Autorin.

 

Quellen

gfs.bern. 2019. Problemzone Alltagsbezug. easyvote-Politikmonitor 2018. Bern: gfs.bern.

Internetseite von SRF.  Digitaler Wahlkampf. Die CVP setzt auf Influencer. https://www.srf.ch/news/schweiz/wahlen-2019/digitaler-wahlkampf-die-cvp-setzt-auf-influencer (zuletzt besucht am 13.09.2019).

Internetseite des Tagesspiegels. Warum Influencer plötzlich Werbung für Europa machen. https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/kampagne-des-eu-parlaments-warum-influencer-ploetzlich-werbung-fuer-europa-machen/24359574.html (zuletzt besucht am 13.09.2019).

Internetseite von 20 Minuten. Die grössten Schweizer Meinungsmacher unter 21. https://www.20min.ch/people/schweiz/story/Die-groessten-Schweizer-Meinungsmacher-unter-20-29164718 (zuletzt besucht am 30.09.2019).

Internetseite der Republik. Die Jungen gehen zu wenig wählen. Und Influencer so: ¯\_(ツ)_/¯. https://www.republik.ch/2019/10/11/die-jungen-gehen-zu-wenig-waehlen-und-influencer-so (zuletzt besucht am 14.10.2019).

Kevenhörster, Paul. 2008. Politikwissenschaft. Band 1: Entscheidungen und Strukturen der Politik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Nirschl, Marco und Laurina Steinberg. 2018. Einstieg in das Influencer Marketing. Grundlagen, Strategien und Erfolgsfaktoren. Wiesbaden: Springer Gabler.

Suter, L, G. Waller, J. Bernath, C. Külling, I. Willemse und D. Südd. 2018. JAMES – Jugend, Aktivitäten, Medien – Erhebung Schweiz. Zürich: Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.