Eröffnet wurde die Konferenz von Bérénice Georges und Dominik Scherrer, dem Co-Präsidium des Dachverbands Schweizer Jugendparlamente DSJ. Sie betonten die Wichtigkeit von digitalen Tools für den wirkungsvollen Einbezug von Jugendlichen in politische Prozesse. Dies weil viele Eintrittshürden im Vergleich zur analogen Partizipation wegfallen würden und ein asynchroner Rhythmus (sprich, eine Teilhabe zu einem selbst gewählten Zeitpunkt) möglich sei. Civic Tech sei zudem mehr als nur eine Verlagerung von bereits existierenden Partizipationsprozessen in den digitalen Raum. Vielmehr ermögliche es komplett neue Formen der Teilhabe.
Margo Loor, Gründer von Citizen OS, berichtete in der ersten Keynote über Civic Tech in Estland. Eine offene Gesellschaft und Technologie bezeichnete er als seine beiden grössten Passionen. Menschen wollten partizipieren und sich einbringen, das gelte für die ganze Welt. Und zum ersten Mal sei es dank Technologie möglich, dass sich eine grosse Zahl Menschen miteinander austausche. Das führe uns direkt zu Civic Tech. Was aber ist für eine erfolgreiche digitale Partizipation wichtig? Hier hob Margo Loor die Kooperation mit existierenden Netzwerken hervor. Zudem müsse die Teilhabe in der lokalen Sprache erfolgen können. Ebenso wichtig sei ein konstanter Austausch zum Thema, weshalb Dachorganisationen, Konferenzen und Literatur zentral seien. Schlussendlich müsse ein Tool zudem einfach nutzbar sein und über einen ständigen Support verfügen.
Die zweite Keynote wurde von Frédéric Josselin von der Republik und dem Kanton Genf gehalten und handelte vom Mehrwert von Civic Tech für Gemeinden. Er legte dem Publikum eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Thema und eine überlegte Umsetzung ans Herzen. Es brauche eine präzise Realisierung von Civic Tech-Projekten, damit diese nicht von einer Chance zu einer Gefahr verkommen würden. So sei in Genf ein Halt eingelegt worden, um sowohl die Bevölkerung als auch die Behörden bei der Einführung eines neuen Civic Tech-Tools an Bord zu holen. Im entsprechenden Prozess sei schlussendlich die auf Decidim basierende Lösung ausgewählt worden. Wichtig ist auch für Frédéric Josselin, dass das Angebot eine Ergänzung zu bestehenden Möglichkeiten der Partizipation darstellt. Ein grosses Potenzial sieht er deshalb vor allem im Bereich hybrider Partizipation.
Vor und nach der Pause fanden zwei Blöcke mit Lightning Talks und Workshops statt. Die Lightning Talks haben sich zu einem konstanten und wertvollen Programmteil der Civic Tech-Konferenzen entwickelt. Im ersten Block wurden mit E-Mitwirkung, engage.ch und My Local Services drei kostenpflichtige Projekte präsentiert, an deren Umsetzung sich die Behörden aktiv beteiligen müssen. Im zweiten Block wurden drei Projekte vorgestellt, die kostenlos nutzbar sind. Es handelte sich dabei um Bikeable, das partizipative Budget Lausanne und Radius. Die anschliessenden Workshops dienten zum einen dazu, weitere Fragen rund um diese Projekte zu klären. Zum anderen wurde über die Chancen und Herausforderungen von Civic Tech sowie über eine mögliche Civic Tech-Community diskutiert.
Im Podiumsgespräch wurden die Auswirkungen der E-ID-Abstimmung auf Civic Tech-Projekte besprochen. Zuerst stand die Frage im Raum, ob der Staat Digitalisierung überhaupt kann. Gemäss Caroline Brüesch besteht in der Schweiz in der Tat eine Digitalisierungslücke. Sie sei nicht auf fehlende finanzielle Mittel zurückzuführen, vielmehr handle es sich dabei um Formen von staatlichem Organisationsversagen. Häufig würden zudem klassische analoge Prozesse digitalisiert, obschon gerade die Digitalisierung zahlreiche neue Optionen bieten würde. Speziell die E-ID sieht sie als eine Enablerin für die Koordination von digitalen Prozessen über alle föderalen Ebenen hinweg.
Der Kanton Schaffhausen hat auf kantonaler Ebene bereits eine E-ID eingeführt. Sandro Scalco erläuterte, das Hauptziel des E-ID-Projekts in Schaffhausen sei es gewesen, Erfahrungen zu sammeln. Es habe in dieser Phase genügend Zeit und somit nicht den Umsetzungsdruck eines Gesetzes gegeben. So seien wichtige erste Schritte möglich gewesen.
Ebenfalls vertieft diskutiert wurde, zu welchem Zeitpunkt die Bevölkerung in Digitalisierungsprojekte einbezogen werden sollte und wie damit die zahlreichen Bedenken gegenüber solchen Projekten ernst genommen werden können. Adrienne Fichter betonte, dass öfter eine öffentliche Meinungsumfrage durchgeführt werden könnte. Dann müsse der Bund aber voll und ganz dahinterstehen und die notwendigen Ressourcen aufbringen. Sie führte unterschiedliche Beispiele aus dem Ausland auf und wies darauf hin, dass die Schweiz das Rad hier nicht neu erfinden müsse. Auch positive Beispiele seien wichtig, damit die Bevölkerung in Bezug auf die Digitalisierung wieder Vertrauen in die Behörden gewinnen könne. Philippe Kramer merkte ergänzend an, dass die Bevölkerung ihrerseits den Staat und seine Prozesse besser verstehen sollte. In privaten Unternehmen gehe mit IT-Projekten auch vieles schief, diese müssten das aber weniger öffentlichkeitswirksam ausweisen. Eine gesunde Fehlerkultur sollte deshalb auch beim Staat möglich sein. Dies ist allen Podiumsteilnehmenden wichtig. Transparenz und Offenheit seien zentrale Voraussetzungen dafür, ebenso wie ein früher Einbezug aller Anspruchsgruppen.
Ganz allgemein ist gemäss ZHAW von Seiten der Bevölkerung noch mehr Partizipation erwünscht. Dies vor allem auf digitalem Weg und insbesondere auch bei Themen, die bisher grösstenteils innerhalb von Behörden umgesetzt worden waren. Für Civic Tech gibt es also weiterhin grosses Potenzial. Welche Rolle spielt die E-ID bei der Entfaltung dieses Potentials? Unter den Gästen herrschte Konsens, dass eine E-ID sicherlich nicht für alle Formen von Civic Tech notwendig ist. Für gewisse Vorgänge wie beispielsweise E-Collecting sei sie jedoch zentral. Es kristallisierte sich heraus, dass eine E-ID vor allem dann wertvoll ist, wenn eine Schnittstelle mit den Behörden besteht, jedoch nicht zwingend im inhaltlichen Austausch unter UserInnen. Dort sei eine gewisse Anonymität unter Umständen sogar erwünscht.
Abschliessend kam auch während dem Podiumsgespräch wieder zum Ausdruck, dass die Förderung von Civic Tech nicht darauf hinauslaufen sollte, dass nur noch digital mitbestimmt werden kann. Somit wurde der Bogen zu den einleitenden Worten des Co-Präsidiums geschlagen, wo ebenfalls betont worden war, dass ein Miteinander von analog und digital für die Partizipation von Jugendlichen wichtig sei.
Die Inhalte im Detail nachschauen können Sie in den entsprechenden Videoausschnitten auf dieser Seite.
13:30 | Begrüssung |
13:40 | Keynote Margo Loor, Gründer und CEO Citizen OS |
13:50 | Keynote Frédéric Josselin, Chef Dienststelle Mitbestimmung und Kommunikation, Republik und Kanton Genf |
14:00 | Lightning Talks I My Local Services - Einfacher Zugang zu Informationen und Dienstleistungen für EinwohnerInnen E-Mitwirkung - Digitale Gesamtlösung für effiziente Mitwirkungen und Vernehmlassungen engage.ch - Anliegen und Ideen auf einfachem Weg einbringen und Zukunft mitgestalten |
14:30 | Workshops I
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15:00 | Pause mit Marktständen von Civic Tech-AnbieterInnen |
15:30 | Lightning Talks II Bikeable - Zeigt gefährliche Spots für Velofahrer und hilft bei der Lösungsfindung Partizipatives Budget Lausanne - Eure Stadt, eure Projekte Radius - Persönlich und konstruktiv mit politisch Andersdenkenden diskutieren |
16:00 | Workshops II
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16:30 | Podiumsgespräch: Die Auswirkungen der E-ID-Abstimmung Prof. Dr. Caroline Brüesch, Leiterin Institut für Verwaltungs-Management ZHAW Adrienne Fichter, Politologin und Digital-Redakteurin Republik Philippe Kramer, Kampagnenkoordination E-ID-Referendum Sandro Scalco, CEO liitu consulting gmbh (u.a. E-Collect Schaffhausen) |
17:30 | Apéro |
Prof. Dr. Caroline Brüesch ist Leiterin des Instituts für Verwaltungs-Management an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW und Geschäftsleiterin der Schweizerischen Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften. Sie ist unter anderem Mitglied des Fachrats E-Government Kanton und Gemeinden Zürich und Co-Projektleiterin des Projekts «Partizipation neu denken».
Adrienne Fichter ist Politologin und Redakteurin beim Online-Magazin Republik. Dort schreibt sie regelmässig zu Digitalisierungsthemen – zuletzt auch viel über die E-ID. Als Co-Autorin des Buchs «Smartphone Demokratie» thematisierte sie den Einfluss von Fake-News, Bots, Filterblasen, Empörungswellen und die neuesten Strategien der Spin-Doktoren auf die Politik im 21. Jahrhundert. 2009 baute sie zudem die Plattform politnetz.ch (offline seit 2020) mit auf. Es war der erste Versuch, eine digitale Plattform für die demokratische Debatte zu bauen.
Philippe Kramer war Kampagnenleiter des erfolgreichen Referendums gegen das E-ID-Gesetz. Er ist Campaigner bei Public Beta und Vizepräsident des Project R. Im September 2020 schrieb die NZZ am Sonntag über ihn, dass ihm zum Stimmrechtalter 16 der «Politcoup der Woche» geglückt sei. Er ist ebenfalls Teil der Klimabewegung Basel.
Sandro Scalco ist Informatiker und CEO der liitu consulting gmbh. Mit ecollect.sh entwickelt er aktuell einen Prototypen für E-Collecting, basierend auf der offiziellen elektronischen Identität des Kantons Schaffhausen. Im Rahmen des Prototype Fund Schweiz hat er im letzten Jahr mit owlly ein weiteres E-Collecting-Projekt auf die Beine gestellt. Neben diesen Engagements ist er als Key-Account-Manager bei Procivis AG aktiv.
Im Rahmen der Lightning Talks wurden sechs unterschiedliche Civic Tech-Tools vorgestellt. Mehr dazu in den Videoausschnitten oder direkt auf den Webseiten der Projekte.
Einige Projekte waren während der Pause mit einem Marktstand vertreten. Die Teilnehmenden der Konferenz erhielten so die Möglichkeit, folgende zusätzlichen Civic Tech-Tools kennenzulernen: